Welche Auswirkungen hat 2G auf den Einzelhandel?
Ein Interview mit Winfried Bahn
veröffentlicht am 8. Dezember 2021
Redaktion URH:
Bund und Länder haben schärfere Corona-Regeln beschlossen, für den Einzelhandel und die Gastronomie gilt jetzt die 2G-Regel. Welche Auswirkungen hat das Deiner Ansicht nach für Geschäfte und Restaurants?
Winfried Bahn:
Die Folgen dieser Regel sind weitreichend: Zum einen bedeutet das einen massiven Umsatzeinbruch – nicht nur durch den Ausschluss der Ungeimpften, sondern auch dadurch, dass viele Kunden bzw. Gäste von den Schlangen durch Einlasskontrollen abgeschreckt werden. Noch dazu kommt mit den vorgeschriebenen Kontrollen ein erheblicher organisatorischer und auch finanzieller Aufwand auf Händler und Gastronomen zu.
Die Unternehmen werden zum verlängerten Arm des Staates, da die Umsetzung der Maßnahmen nun auf sie übertragen wird.
Redaktion URH:
Macht es sich der Staat nur zu einfach oder sind ihm Deiner Meinung nach weitere Unzulänglichkeiten vorzuwerfen?
Winfried Bahn:
Beides. Er wälzt die Verantwortung auf die Unternehmen ab, während er selbst nicht einmal in der Lage ist, verlässliche Statistiken zu erstellen – Beispiel Bayern und Hamburg: Hier werden Corona-Fälle, bei denen der Impf-Status unbekannt ist, als Ungeimpfte eingestuft, mit der Folge, dass Inzidenzen verfälscht werden. Auf Basis einer unzulänglichen Statistik werden weitreichende Entscheidungen getroffen, zu Lasten der Unternehmen. Wenn von Unternehmen verlangt wird, Auflagen gewissenhaft einzuhalten, dann sollte man auch im Umkehrschluss erwarten können, dass die Politik ihre Entschlüsse auf der Grundlage verlässlicher Zahlen fasst. Kein Unternehmen kann Entscheidungen treffen, ohne auf eine verlässliche Datenlage zurückgreifen zu können. Vor allem stellt sich auch die Frage: Sind Bayern und Hamburg nur die Spitze des Eisbergs oder gibt es in Nordrhein-Westfalen und den übrigen Bundesländern fundierte statistische Zahlen als Faktengrundlage? Die Politik wäre gut beraten, für die Pandemiebekämpfung verlässliche, lückenlose und einheitliche Daten zugrunde zu legen, so wie es auch in anderen Ländern der Fall ist.
Redaktion URH:
Abgesehen von diesem Datenchaos: Sind die strengeren Zugangsbeschränkungen aus Deiner Sicht also nicht nachvollziehbar?
Winfried Bahn:
Nein. Denn in Studien wurde bereits nachgewiesen, dass kein erhöhtes Infektionsrisiko vom Handel ausgeht. Im Gegenteil: Zahlreiche Unternehmen haben in alle möglichen Schutzmaßnahmen investiert, sodass das Infektionsrisiko in den betreffenden Geschäften und Restaurants sogar geringer ist als in anderen Bereichen. Die Zugangsbeschränkungen würden nur dann Sinn machen, wenn sie auch dazu beitragen würden, die Pandemie zu bekämpfen.
Äußerst fragwürdig ist außerdem die Willkür, mit der die Einteilung in systemrelevant und nicht-systemrelevant erfolgt: In Bayern sind Schuhgeschäfte von der 2G-Regel ausgenommen, in anderen Bundesländern dagegen nicht, Buchhandlungen und Blumenläden sind hingegen in vielen Ländern für alle geöffnet. Das hat mit gesundem Menschenverstand nichts mehr zu tun. Zu befürchten ist jetzt, dass Supermärkte und Drogerien von 2G profitieren und neben ihrem normalen Sortiment auch branchenfremde Ware verkaufen – auf Kosten des Einzelhandels. Wie undurchdacht und unsinnig die Ausweitung der 2G-Regel auf den Einzelhandel ist, zeigt sich auch mit Blick auf die Klagewelle, die die neue Verordnung bereits jetzt nach sich zieht: Neben Handelsketten wie KIK, Deichmann und Ernstings Family drohen immer weitere Unternehmen und Verbände, gerichtlich gegen 2G vorzugehen.
Wir brauchen sachliche, fundierte und zukunftsweisende Lösungsansätze anstatt permanenter Bekämpfungsparolen, damit in Deutschland wieder mehr Einigkeit vorherrscht.